Andachten zum Monatsspruch
Oktober 2025

Manche sind der Meinung, der Kampf des Guten gegen das Böse stehe unmittelbar bevor. Teufel und himmlische Heerscharen rüsten sich zum Kampf – und das ist nicht nur bildlich gemeint. Bei der Trauerfeier für den ermordeten amerikanischen radikalen christlichen Nationalisten Charlie Kirk Ende September z.B. konnte man den Eindruck gewinnen, dass jetzt die Zeit für den Endkampf gekommen sei, die woken links-kommunistischen Kräfte zu vernichten bis Amerika und die Welt endlich erlöst seien, ein Gottesstaat mit grenzenloser Freiheit für christlich verbrämten Menschenhass, Waffenfetisch und weiße Vorherrschaft.
Eine gruselige Vorstellung. Aber eine Vorstellung mit einer erschreckend großen Anhängerschaft, die es – mir erschließt sich nicht, wie – irgendwie schafft, diese Machtphantasien und dieses Schwarz-weiß-Denken herzuleiten aus dem Glauben an Jesus Christus, den arabischen Juden, der als Wanderprediger mit kleiner Anhängerschaft vor allem zu marginalisierten Gruppen am Rande der Städte ging um ihnen vom Reich Gottes zu erzählen, von der Liebe zum Nächsten und von der Kraft des Glaubens, die größer ist als weltliche Macht. Als Pharisäer, die sich sehnen nach dem Messias, der die Herrschaftsverhältnisse endlich umkehren wird, Jesus einmal fragen, wann das Reich Gottes kommt, da kündigt er keinen Endkampf an, nein, er sagt: „Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“
Gottes Reich ist schon da. Nicht mit äußeren Zeichen soll es kommen, nicht mit dem großen Knall, wie durch einen Pistolenschuss auf offener Bühne, nicht auffällig, dass alle darauf hinweisen, sondern still und leise, mitten unter uns. Gottes Reich ist schon da.
Eine Botschaft, die verstört, wenn Meinungen eingeschränkt werden und Menschen, die die Wahrheit beim Namen nennen mit Morddrohungen überschüttet werden. Wenn Kriege toben und immer mehr Menschen im Bombenhagel sterben, ohne Ende in Sicht. Wenn das Wetter weltweit immer unkalkulierbarer wird und der Klimawandel unaufhaltsam fortschreitet, aber alte Geschäftsmodelle schützenswerter erscheinen als Ideen, dem entgegenzuwirken.
Das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Der kurze Dialog Jesu mit den Pharisäern, der in diesem Satz gipfelt, schließt sich im Lukasevangelium an eine Reihe kurzer Gleichnisse und Beispielgeschichten an, in denen Jesus über Demut spricht, über Vergebung, über kleinen Glauben, der große Kraft entfaltet, über das Hören auf Gottes Wort. Kleine werden groß, Privilegierten werden ihre Privilegien nichts nützen.
Das Reich Gottes ist mitten unter uns schon da.
Ungerechtigkeit und Leid sind da auch. Keine Frage. Aber mitten drin: Gottes Reich. Gerechtigkeit. Frieden. Gemeinschaft. Demut. Nächstenliebe. Freundlichkeit. Gemeinsinn. Bewahrung der Schöpfung. Hilfsbereitschaft. Einsatz für Verfolgte. All das gibt es doch längst unter uns. Wenn auch nur im Kleinen. Nicht allumfassend. Und doch so kraftvoll, dass es Leben verändern kann.
Der Kampf Gut gegen Böse, himmlische Heerscharen gegen den Teufel steht nicht bevor. Wir sind längst mittendrin. Doch ist es vielleicht gar kein Kampf im herkömmlichen Sinne. Es geht nicht um Macht und Gewalt. Sondern darum, das Gute, das Reich Gottes unter uns langsam wachsen zu lassen. Um aufmerksame Pflege. Ums Zuhören, aufeinander zugehen, miteinander teilen, was uns geschenkt ist. Richten wir unseren Blick nicht so sehr auf das, was uns trennt, sondern darauf, wo Liebe gelingt. Denn „sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lukas 17,21).
Ihr Pfarrer Tim Wendorff